Ein Gastbeitrag von Cornelia Pfaff
Sicherheit – was für ein schönes Wort. Sicherheit, das vermittelt doch: Dir kann nichts passieren. Das suggeriert: Du musst Dir um nichts Gedanken oder gar Sorgen machen. Du musst keine Angst haben. In Sicherheit sein, das bedeutet, dass Dir nichts und niemand schaden kann, denn Du bist ja schließlich sicher. Sicherheit, das ist doch was Tolles, etwas Wunderbares, etwas, das jeder will, nach dem sich jeder sehnt.
Und in unserer modernen Gesellschaft, da sind wir es doch, da sind wir doch sicher! Kein Tiger hinter dem nächsten Busch, kein Bär in der übernächsten Höhle, keine giftigen Schlangen oder Spinnen im Gras oder Unterholz. Alles sicher. Der Weg zur Nahrungsbeschaffung: sicher, denn zum nächsten Supermarkt ist es nicht weit. Trinkwasser aus der Leitung, Wärme von der Zentralheizung, kommt sicher. Der Themenabend im Fernsehen „Sicherheit in Deutschland“. Ja, wir sind sicher!
Also wir sind doch wirklich sicher! Absolut sicher!
Oder?
Nunja, im Prinzip schon, also genau genommen eventuell – tja, vielleicht doch eher höchstens auf den ersten Blick. Denn mal ehrlich nachgefragt, und nun muss mancher wirklich ganz ganz tapfer sein: Gibt es sie überhaupt, die absolute Sicherheit?
Nein! Auch wenn sie uns gerne immer und überall suggeriert wird, von der Mär der absoluten Sicherheit sollte man sich besser verabschieden. Ganz schnell. Denn das Leben als solches, gleich ob das von Mensch, Tier, Pflanze, Pilz oder Mikrobe ist in jedem einzelnen Augenblick mindestens so viel Risiko wie Sicherheit. Eigentlich vermutlich meist sogar eindeutig mehr Risiko als Sicherheit.
Besser nicht das Haus verlassen
Es gibt da diesen flapsigen Spruch: „Das Leben ist eine sexuell übertragbare Krankheit, die unweigerlich mit dem Tod endet…“. Und genau das ist Leben, und zwar nicht nur draußen in der Natur, in der freien Wildbahn, sondern auch in der modernen Zivilisation. Es gibt keine Sicherheit und schon gar keine absolute. Jederzeit kann irgendetwas das Leben stark beeinträchtigen oder sogar jäh beenden.
Ein Autounfall, ein Sturz vom Fahrrad, eine Krankheit, eine unglückliche Kollision mit der Kettensäge bei der Gartenarbeit – such Dir was aus. Die Möglichkeiten sind schier endlos. Sicherheit, daheim in den eigenen vier Wänden? Vergiss es! Nicht einmal dort! Viele, wenn nicht gar die meisten Unfälle passieren zu Hause, im Haushalt, in der heimeligen trügerischen Sicherheit. Man fällt von der Leiter, die Treppe runter, verbrennt oder verbrüht sich, rutscht auf einem Seifenrest aus und schlägt mit dem Kopf am Badewannenrand auf. Zack! Im Extremfall könnte Dir sogar ein Flugzeug oder ein Teil des selbigen, sagen wir mal ein Triebwerk, aufs Haus stürzen. Rums! Aus die Maus! Mit Sicherheit!
Man könnte potenzielle Unfall- und Todesursachen noch seitenweise fortführen. Aber das Prinzip dürfte bis hierhin wohl bereits hinreichend klar sein. Nun passt diese harte Wahrheit aber so gar nicht in der Konzept der modernen Gesellschaft, in der uns allen ständig und überall suggeriert wird, dass alles sicher ist. Also wirklich absolut sicher, alles!
Da, wo wir vor dreißig oder vierzig Jahren als Kinder noch in den Sand gefallen sind, wenn wir vom Klettergerüst oder der Schaukel abgeschmiert sind, da fallen die Kinder von heute wohlbehütet auf Sicherheitsmatten. Sand? Viel zu gefährlich! Fahrradfahren ohne Helm? Früher total normal – heute total unverantwortlich! Viel zu gefährlich! Das soll nun kein Plädoyer gegen Fahrradhelme werden, aber mal ehrlich: Es gibt unvernünftigere und riskantere Unterfangen als eine Radtour über Feld-, Wald- und Radwege – ohne Helm. In Schulen dürfen in den Fluren keine Plakate mehr hängen, keine Schülerarbeiten mehr ausgestellt werden – Brandschutz! Viel zu gefährlich! Ach ja, und dann gibt es da natürlich noch verschiedenste Vorsorgeuntersuchungen – Brustkrebs, Prostatakrebs, Gebärmutterhalskrebs, Grüner Star, Darmkrebs, um nur einige wenige zu nennen. Damit die Gesundheit sicher ist! Dumm nur, dass schwer mit Sicherheit zu sagen ist, ob die statistisch gesehen meist eher marginale Schutzwirkung die negativen gesundheitlichen und psychischen Schäden durch falsch positive Befunde letztlich überwiegen kann.
Sicherheitsmaßnahmen und Vorsorgeuntersuchungen
Weder Supersicherheitsmatten, noch Fahrradhelme oder Vorsorgeuntersuchungen noch alle sonst nur denkbaren Sicherheiten – und letztlich auch keine noch so ausgeklügelten Schönheitseingriffe – können allerdings vor dem Unausweichlichen schützen, dem Altern und dem Tod. Und weil Senioren auf eine ganz diffizile Weise daran erinnern, dass das Leben endlich ist, werden die Betagten und Hochbetagten doch gerne aus der Aufmerksamkeit verbannt. Praktischerweise lassen sich die, die Alter und Tod so plastisch vor Augen führen könnten, aber auch ausblenden. Ausgelagert in Altenheimen, euphemistisch auch gerne Seniorenresidenzen genannt, sind sie nicht so präsent.
Wie bequem, nicht ständig an die eigene Vergänglichkeit erinnert zu werden. Da fühlt man sich gleich viel sicherer.
Und alle Risiken, die sich in der Praxis sonst noch nicht so einfach – und sei es nur scheinbar – beeinflussen oder gekonnt ignorieren lassen, lassen sich immerhin versichern. Das schafft Sicherheit! Zumindest so innerlich. Man ist ja versichert, wenn man schon nicht sicher ist. Es gibt fast nichts, was sich nicht versichern lässt – egal wie sinnig oder unsinnig. Vom Allerwertesten, ja genau, dem Hinterteil, bis zur Entführung vor Aliens, nichts ist sicher vor der passenden Versicherung. Der Phantasie sind schier keine Grenzen gesetzt. Eine heile Freude für die Versicherungsgesellschaften.
Seit Jahren wird es in quasi sämtlichen Lebensbereichen immer extremer mit dem Sicherheitsstreben. Aber den bisherigen Gipfel erreicht es wohl in der Corona-Krise. Die Mär von der absoluten Sicherheit ist so allgegenwärtig, dass Politik und Verantwortliche sich getrieben sahen und wiederholt sehen, alles nur Erdenkliche zu tun, um jedes Leben zu retten. Jedes!
Ein völlig unmögliches Unterfangen, egal um welchen Preis. Da werden Senioren, die so schön in Altersheime abgeschoben wurden, förmlich in Einzelhaft gesteckt, dürfen ihre Mitbewohner wenn überhaupt nur noch mit zwei Meter Abstand sehen – und das mit aufgrund des Alters häufig eingeschränktem Sehen und Hören. Kindern werden Masken aufgezwungen, Abstände, Tests. Ihnen wird Angst gemacht, eingeredet, wenn sie ihre Großeltern umarmen, könnten sie sie mit dem Virus anstecken und umbringen.
Alles für die absolute Sicherheit?
Ganze Berufsstände, ganze Branchen werden offenen Auges in den Ruin getrieben – obwohl es keinerlei Belege dafür gibt, dass es etwa in der Gastronomie oder beim Frisör in bedeutendem Maße zu einer Ansteckung mit dem Virus kommt. Niemand will einen Fehler machen, also macht man lieber alles dicht und in blindem Aktionismus wird ein Fehler nach dem anderen gemacht. Und in diesem Strudel gerät man immer tiefer in den Sog der absoluten Sicherheit, verstrickt sich in Widersprüchen und verliert zunehmend den Faden. Mit logischen Zusammenhängen und wissenschaftlichem Denken hat das Ganze immer weniger zu tun. Ein Zurück wird immer schwieriger, denn man müsste sich Fehler eingestehen.
Und das alles wofür? Für die scheinbar absolute Sicherheit. Dafür, dass jeder absolut sicher ist vor dem Virus, zumindest scheinbar. Es wird ignoriert, dass Experten mittlerweile wiederholt berechnet haben, dass lediglich rund 0,15 Prozent aller Infektionen mit dem Virus tödlich enden – und dass übertriebene Sicherheit angesichts eines verhältnismäßig wenig gefährlichen Virus eigentlich gar nicht sinnvoll ist.
Es wird ignoriert, dass die Maßnahmen mehr Kollateralschaden als Schutzwirkung mit sich bringen. Es wird ignoriert, dass Masken Keimschleudern sind, sie die Atmung merklich beeinträchtigen können (siehe Arbeitsschutzrichtlinien) und ihr potenzieller Schutz vor Viren (siehe Packungsbeilage) nicht unbedingt mögliche gesundheitliche Schäden überwiegt. Es wird ignoriert, dass sich immer deutlicher abzeichnet, dass Lockdowns das Infektionsgeschehen gar nicht wesentlich beeinflussen können, ja dass selbst die WHO sogar von ihnen abrät, weil sie mehr schaden als nützen, die Nebenwirkungen gefährlicher sind als das Virus selbst. Es wird ignoriert, dass Menschen so verzweifelt sind, dass sie an Selbstmord denken oder sich tatsächlich umbringen, dass viele Kinder massiv unter den Einschränkungen leiden, diverse Ängste entwickeln, depressiv werden.
Stattdessen werden Masken, übertriebener Abstand, eine sinnlose Testmanie – sinnlos deshalb, weil Schnelltests gar keine Gewissheit geben können, dazu ist das Ergebnis viel zu unzuverlässig – und eine unausgegorene Impfung zu den einzigen Errettern der Menschheit erhoben. Wohlgemerkt eine Errettung vor einem Virus, das erstens nur einen winzigen Bruchteil der Bevölkerung merklich trifft und einen noch winzigeren nachhaltig schädigt oder gar tötet. Dennoch nehmen die Maßnahmen immer absurdere Ausmaße an. Alles im Namen der Sicherheit – so verbohrt auf dieses eine Ziel gerichtet, dass am besten niemand, wirklich niemand an Corona sterben darf. Jeder Tote ist einer zu viel! Man könnte meinen: An allem anderen darf man sterben, aber nicht an Corona. Und über Monate hinweg wurde so viel Angst geschürt von Politik und Medien, dass die Menschen all diese Einschränkungen erstaunlich klaglos hinnehmen.
Das coronare Risiko
Würde man dieses überzogene Streben nach Sicherheit konsequent weiterdenken, müsste es tatsächlich sogar noch weit aberwitzigere Züge annehmen. Nehmen wir zum Beispiel die Schifffahrt – seit Anbeginn alles andere als eine sichere Sache. Das Reisen über die Ozeane forderte und fordert seit Jahrtausenden unzählige Menschenleben. Und bis heute gehen regelmäßig Schiffe auf den Weltmeeren verloren, wöchentlich im Durchschnitt mehr als zwei. Schiffe gehen unter mit Mann und Maus oder sind einfach verschollen und tauchen nie wieder auf. Die Schifffahrt sollte dringend eingestellt werden! Viel zu gefährlich! Da sterben Menschen! Der Straßenverkehr etwa – seit 1950 sind allein in Deutschland mehr als 700.000 Menschen bei Verkehrsunfällen ums Leben gekommen. Von den unzähligen Verletzten und Schwerverletzten ganz zu schweigen. Und das trotz der Einführung des Sicherheitsgurtes in den 1970er Jahren. Und täglich kommen neue hinzu. Die logische Konsequenz: Autos müssten verboten werden! Viel zu gefährlich! Da sterben Menschen!
Der Vergleich mit Corona mag hinken, aber im Grunde ist es dasselbe. Bei Schifffahrt und Autoverkehr jedoch nehmen wir in Kauf, dass es ein Risiko gibt. Es ist akzeptabel. Nicht so bei Corona. Bei Corona wird versucht, jegliches Risiko mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln in den Griff zu bekommen. Dabei ist es nicht in den Griff zu bekommen. Menschen erkranken an Virusinfektionen, schon immer. Werden krank durch Influenzaviren, Coronaviren, Herpesviren und so viele andere. Jahr für Jahr. Sie erkranken, mal leichter, mal schwerer, mal so schwer, dass sie sterben. Bei sämtlichen Grippewellen, die selbst hierzulande übrigens schon mehr als einmal mehr als ein Krankenhaus an seine Belastungsgrenzen oder sogar darüber hinaus gebracht haben, ist exakt das passiert. Jedes Jahr aufs Neue.
Ja, auch da sind Menschen gestorben. Und ja, jeder Einzelfall ist schlimm! Das steht außer Frage. Aber gesellschaftlich betrachtet, das Große Ganze im Blick, waren die alljährlichen Grippetoten genauso akzeptabel wie die vielen Verletzten und Toten im Straßenverkehr und noch nie ein Grund für eine landesweite, ja weltweite Hysterie.
Warum ist das bei Corona nun anders? Schwer zu sagen. Die Angst vor einem vermeintlich völlig neuen und unbekannten Virus und die Gier nach absoluter Sicherheit scheinen aber so groß, dass der Umgang mit der Viruserkrankung ziemlich offensichtlich auf die schiefe Bahn gerät. Nun erreicht das wahnhafte Streben nach Sicherheit einen Punkt, an dem die Sicherheit vor lauter verbohrtem Sicherheitsstreben paradoxerweise letztlich hinten überfällt – weil die Sicherheit nämlich an anderen Stellen völlig außer Acht gelassen wird und Kollateralschäden ihre Opfer anderenorts fordern. Niemand sagt, dass es leicht ist, in dieser Lage Entscheidungen zu treffen.
In einer Lage wie dieser gibt es kaum absolut richtig oder absolut falsch – aber eben erst recht keine absolute Sicherheit! Es wird wohl nur schwer herauszufinden sein, ob die Opfer der Kollateralschäden nun weniger, ähnlich viele oder gar zahlreicher sind als die dank der Maßnahmen wirklich Geretteten. Jede Entscheidung fordert Opfer, denn Menschen sterben. Aus den unterschiedlichsten Gründen. Aber Entscheidungen einzig mit dem Blick auf die absolute Sicherheit vor dem Virus zu treffen, die Bevölkerung über Monate hinweg in Angst vor diesem Virus zu versetzen, kann schlicht nicht richtig sein. Den Blick auf das Große Ganze zu behalten statt sich neurotisch auf eine einzelne Sache zu konzentrieren, könnte viel eher helfen, der Lage mit Vernunft und Verhältnismäßigkeit zu begegnen.
Nichts ist sicher, außer dem Tod
In unserer Gesellschaft sind Tod und Sterben Tabuthemen. Viele Menschen haben Angst davor und verdrängen es konsequent. Aber gestorben wird immer. Das ist der Lauf der Dinge, der Lauf der Natur. Das passiert und niemand ist je sicher davor. Der gute alte Gevatter Tod – früher oder später kriegt er jeden. Und das ist gut so! Es ist immer traurig, es ist oft tragisch, es ist selten schön oder gar romantisch. Aber es ist normal. So normal wie der Himmel über unseren Köpfen und der Boden unter unseren Füßen. Es wäre schlimm, wenn nicht gestorben würde. Dann wäre die Erde binnen kürzester Zeit so überbevölkert, dass nichts als Leid und Elend und Krieg bliebe.
Wer sich unbedingt der absoluten Sicherheit verschreiben möchte, sich vor sämtlichen Risiken schützen will, soll das versuchen – toi, toi, toi! Aber bitte in Eigenverantwortung und nicht auf Kosten anderer und schon gar nicht um den Preis, anderen Dinge aufzuzwingen, die sie nicht möchten. Respekt, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung sollten keine leeren Worte sein. Sicher ist letztlich wohl nur eines: Nichts ist sicher, außer dem Tod. Leben ist Risiko, keine Sicherheit. Also gewinnen wir wieder ein gesundes Verhältnis zu Leben und Tod. Nehmen wir das Risiko Leben in Kauf und leben!
Denn ein Streben nach absoluter Sicherheit ist nicht nur sinnlos, weil es die absolute Sicherheit niemals geben kann, sondern auch sinnraubend. Es raubt einen essenziellen Teil des Lebenssinns – Freude, Freiheit und Unbeschwertheit.
Never forget: No risk, no fun!
Ganz und gar großartiger Text!