Intellektuelles Anbiedern: Feuchtwanger in Moskau
Im Dezember 1936 fährt Lion Feuchtwanger nach Moskau. Seine ganze Hoffnung hat er mittlerweile auf die UdSSR gerichtet, weil er von den westlichen Demokratien enttäuscht ist, die seiner Meinung nach dem Nazi-Regime in Deutschland nicht klar genug entgegengetreten sind.
In dieser Zeit empfängt ihn Stalin und lässt ihn Augenzeuge des zweiten Moskauer Schauprozesses sein. Feuchtwanger bleibt für zwei Monate.
Sein Fazit:
Was ich verstanden habe, ist vortrefflich. Daraus schließe ich, dass das andere, was ich nicht verstanden habe, auch vortrefflich ist.
Im gleichen Jahr veröffentlicht der französische Schriftsteller André Gide ein dem kommunistischen Regime gegenüber kritisch eingestelltes Buch: Retour de l’U.R.S.S. („Zurück aus der Sowjetunion“), in dem er die Verfolgung nicht linientreuer Kommunisten durch Stalin anprangert. Hans Christoph Buch schreibt:
Trotzdem stimmte fast alles, was in der linken Intelligenzija Rang und Namen hatte, in den Chor der Verleumder ein: von Aragon und Barbusse bis zu Romain Rolland, von Brecht und Bloch bis zu Heinrich Mann.
Und so bezahlt das Regime westliche Intellektuelle für positive Propaganda und lädt Feuchtwanger nach Moskau ein. Der Empfang ist triumphal, Feuchtwanger genießt es – das mache es schwer, gesteht er, nicht größenwahnsinnig zu werden. Während der beiden Monate wohnt im Luxus-Hotel „Metropol“ sowie zwei Erholungsheimen. Da er kein Russisch kann, stellt ihm der sowjetische Geheimdienst Übersetzer zur Verfügung, die versuchen, ihn politisch zu indoktrinieren. Man verspricht, einige seiner Werke zu verfilmen sowie eine vierzehnbändige Werkausgabe zu drucken.
Schriftsteller wie Pasternak, die als nicht parteikonform gelten, hält man von Feuchtwanger fern. Erst kurz zuvor hat sich Feuchtwanger bei einem Besuch im Haus des Komintern-Chefs Georgi Dimitrow noch verwundert darüber geäußert, warum eigentlich alle Angeklagten „alles“ geständen und warum es außer den Geständnissen keine Beweise gegeben habe.
Doch nun versichert er, seine Kritik daran sowie an der fehlenden Pressefreiheit nicht im Westen zu publizieren.
Lion Feuchtwanger: Moskau 1937
Am 7. Januar 1937 dann wird er wie ein Staatsgast im Kreml empfangen: Stalin gewährt im die Gunst eines Interviews. Seine Aussagen finden sich später in Feuchtwangers Reisebericht Moskau 1937 wieder. Bei dessen Niederschrift - nach der Rückkehr, in Sanary-sur-Mer - "hilft" ihm ein Prawda-Reporter; das Regime hatte nach dem Gide-Erlebnis Angst, in der ausländischen Presse schlecht wegzukommen. Feuchtwanger lässt sich überzeugen, positive Passagen über Leo Trotzki und kritische Anmerkungen Lenins über Stalin aus dem Manuskript zu streichen. Eine russische Ausgabe erscheint noch im selben Jahr in sechsstelliger Auflage.
Ein Reisebericht für meine Freunde
Im Westen stößt Moskau 1937 eher auf Ablehnung, so bei Arnold Zweig und Franz Werfel. Der Soziologe Leopold Schwarzschild schreibt, das Buch gehe ihm "sauer ein":
Auf keiner Seite von Moskau 1937 taucht irgendwelche Kenntnis auf. Eine sublime Ahnunglosigkeit schöpft einige Pseudo-Informationen aus Quellen, deren Benutzung von vornherein unstatthaft ist.
Für Hermann Kesten ist es „eine reine Stalin-Ode“ und selbst Thomas Mann schreibt: „Ist doch merkwürdig zu lesen.“
Der notorische Brecht freilich urteilt:
das Beste, was von Seiten der europäischen Literatur bisher in dieser Sache erschienen ist. Es ist ein so entscheidender Schritt, die Vernunft als etwas so Praktisches; Menschliches zu sehen, etwas, was eine eigene Sittlichkeit und Unsittlichkeit hat. Ich bin sehr froh, dass Sie das geschrieben haben.
Die Schauprozesse
Während des zweiten Schauprozesses im Januar 1937 sitzt Feuchtwanger auf der Zuschauertribüne. Stalin habe ihn von der Schuld der Angeklagten der Schauprozesse überzeugt habe, schreibt er später.
Was in den Moskauer Schauprozessen zur Sprache kam, wurde als Gespräch mit verteilten Rollen aufgeführt. Manchen ausländischen Beobachtern kam es vor, als unterhielten sich Ankläger und Angeklagte wie zivilisierte Menschen miteinander. (Doris Danzer)
Feuchtwanger kommen offenbar keine Zweifel an der Authentizität des Gesehenen: „Das glich weniger einem hochnotpeinlichen Prozeß als einer Diskussion“. Er hätte es besser wissen können, schreibt Danzer, aber er log, weil ihm das Lob des Diktators mehr galt als die Liebe zur Wahrheit: „Wenn das gelogen war oder arrangiert, dann weiß ich nicht, was Wahrheit ist.“
Moskau
Die Bewertung seiner Eindrücke, die er von der Hauptstadt gewonnen hat, lassen erkennen, wie sich Anti-Modernität und Ideologie auch im kommunistischen Milieu miteinander verbinden:
Noch niemals ist eine Millionenstadt so von Grund auf nach den Gesetzen der Zweckmäßigkeit und der Schönheit gebaut worden wie dieses neue Moskau. ... Ja, es ist ein ästhetischer Genuss sondergleichen, das Modell einer solchen Großstadt zu beschauen, die von Grund auf nach den Regeln der Vernunft gebaut ist, der ersten in ihrer Art, seitdem Menschen Geschichte schreiben. … Das umwerfend Neue ist vielmehr die Planmäßigkeit, die Vernunftmäßigkeit des Ganzen, die Tatsache, dass man nicht nur auf die Einzelbedürfnisse Rücksicht genommen hat, sondern in Wahrheit auf die Bedürfnisse der ganzen Stadt, ja des ganzen riesigen Reiches.
Hier hören wir das ferne Echo eines antiken totalitären Platonismus vermischt mit dem allzu nahen Arbeitslärm des modernen Gesellschaftsingenieurs.
In Moskau, schreibt Feuchtwanger, gelinge durch die Überwindung von Egoismen eine mit sich selbst versöhnte Moderne, eine harmonische Form der Vergemeinschaftung in der neuen Stadt. Alles, was den Kommunismus verführerisch macht: die Überwindung der chaotisch empfundenen, organischen Verhältnisse durch Planung und Machbarkeitswahn sowie die Ablehnung von Eigennutz und Individualität zugunsten eines imaginären Gemeinwohls ist in dieser architektonischen Beobachtung vereint.
Feuchtwanger sei nicht bereit gewesen, mehr in Frage zu stellen oder weiter hinter die Kulissen zu blicken, weil er nicht mehr sehen wollte, als das, was er sich erhoffte. Hier trennen sich „Anschauung und Wissen von Glauben und Glaubenwollen“ (Karl Schlögel).
Im Licht jener Öffentlichkeit, die die Sowjetunion für eine Ersatzheimat hielt, zog er es vor, zu lügen
schreibt der Historiker Jörg Baberowski.
Gründe
Im Fall Feuchtwanger können wir mutmaßen, dass es ihm mit der Verteidigung des real existierenden Sozialismus so geht wie vielen Linksintellektuellen in Geschichte und Gegenwart: Das System erscheint als einzig realistische, weil reale Alternative zu Faschismus auf der einen und Kapitalismus auf der anderen Seite; also muss es mit allen Mitteln verteidigt werden. Zudem will Feuchtwanger - darauf weist auch der Untertitel seines Reiseberichts hin - seinen Freunden, die vor den Nazis ins Exil geflohen sind, nicht die lebensspendende Hoffnung auf eine existierende Utopie zerstören.
Doch selbst 1956, nachdem in Chruschtschows Geheimrede Stalins Verbrechen bekannt werden, rückt Feuchtwanger nicht von seiner Lobpreisung des sowjetische Regimes ab die das Buch im letzten Absatz formuliert: "Es tut wohl, nach all der Halbheit des Westens ein solches Werk zu sehen, zu dem man von Herzen ja, ja, ja sagen kann."
Der Kern seiner Bewunderung, urteilt Anne Hartmann, bleibe konstant: "Die Sowjetunion habe das einzigartige Experiment unternommen, einen Staat auf der Basis der Vernunft zu errichten. Und das Experiment sei geglückt, siegreich durchgeführt: ,Die Sowjet-Union ist da, fest und sicher und für immer', schreibt Feuchtwanger 1957."
Literaturhinweise:
Lion Feuchtwanger: Moskau 1937. Ein Reisebericht für meine Freunde. Berlin 2000.
Hans Christoph Buch: Wer betrügt, betrügt sich selbst. Über André Gide und seine Reise in die Sowjetunion (1936), Die Zeit 1992.
Jörg Baberowski: Der rote Terror: Die Geschichte des Stalinismus. Frankfurt am Main 2007.
Karl Schlögel: Terror und Traum. Frankfurt am Main 2010.
Doris Danzer: Zwischen Vertrauen und Verrat: Deutschsprachige kommunistische Intellektuelle und ihre sozialen Beziehungen (1918 - 1960). Göttingen 2012.
Anne Hartmann: Der Stalinversteher – Lion Feuchtwanger in Moskau 1937. In: Osteuropa, 11.2014, S. 60.