Was uns gesund macht
Von den Säulen der Salutogenese, Kulthandlungen und dem Menschenbild echter Lebendigkeit
Übersicht: Salutogenetische Prinzipien • Umbruchzeiten • Es ist ein Kult! • Der potenzielle Kranke • Welzer: Konformismus • Arendt: Verlassenheit • Gemeinschaft, Gesellschaft, Lebendigkeit • Die frohe Botschaft
Warum werden wir krank? Was hat uns infiziert? Welche Faktoren tragen zu unserem Unwohlsein bei? Oder umgekehrt gedacht: was trägt positiv zu unserer Gesundheit bei? Was macht uns gesund?
Als Gegenentwurf zum Modell der Pathogenese – Krankheit im Fokus – führte der israelisch-amerikanische Stressforscher und Gesundheitswissenschaftler Aaron Antonovsky in den 70er Jahren das Konzept der Salutogenese ein. In deren Kern stehen drei salutogenetische, also der Gesundheit förderliche, Prinzipien als die drei Aspekte, die Gesundheit entstehen lassen: Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit. Dieses Konstrukt funktioniert losgelöst von Viren, Bakterien oder Milieus im engeren Sinne, vielmehr beschreibt es eine Art und Weise, wie wir die Welt sehen und wie sie uns erscheint.
Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit sind die Elemente, die uns in die Lage versetzen, die Welt zu verstehen und das, was wir verstanden haben, auch handhabbar zu machen, es begreifen zu können. Die Realisierung, dass wir die Dinge auch verändern können und, dass wir dem Ganzen – der Welt, den Dingen, dem menschlichen Leben – Sinn und Bedeutung verleihen können. Sind diese drei Gesichtspunkte erfüllt, dann entsteht ein Gefühl der Kohärenz: alles, was einem begegnet, passt auf einmal zusammen, es harmoniert, steht im Einklang miteinander, es ist in sich stimmig. Dass wir das, was wir erleben, grundsätzlich verstehen, dass wir es als sinnvoll erachten und es sogar grundlegend verändern können – im Modell der Salutogenese ist das der Zustand purer Gesundheit.
Umbruchzeiten
In Umbruchzeiten wie diesen erleben wir, dass uns jene Prinzipien entrissen werden. Ordnungsstrukturen brechen zusammen, früher sehr hierarchische Ordnungsstrukturen, heute etwas egalitäre Ordnungsstrukturen oder solche, die uns einen Halt gegeben haben. Nun finden wir keine Orientierung und keine Stabilität mehr im gesellschaftlichen Dasein, in unserem Miteinander. Dieser Zusammenbruch von Ordnung geht wahrlich nicht mit einem Mehr an persönlicher Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit einher. Wir verlieren die Kohärenz der Dinge und unseres eigenen Lebens – ein Gefühl der Inkohärenz entsteht.
Wir verstehen nicht mehr, warum die Dinge um uns herum so sind wie sie sind und denken: „ich weiß nicht was hier vor sich geht, ich begreife diesen Wahnsinn nicht, ich verstehe die Blindheit der anderen Menschen nicht“. Alles kommt uns wahnsinnig oder zumindest willkürlich vor. Es breitet sich ein allgemeines Unbehagen aus, weil wir unser Dasein nicht mehr fassen können, wir scheinen ihm selbst keinen Sinn mehr verleihen zu können.
Um an irgendetwas festhalten zu können, muss dieser Verlust mit einer Komplexitätsreduktion aufgefangen und abgefedert werden. So führt die Suche nach Sicherheit oft in die Hörigkeit gegenüber Autoritäten, Politikern, der Wissenschaft. Da ist es nicht verwunderlich, dass derjenige, der zweifelt, der gerade jetzt das Handeln von Politikern, der Regierung, der Wissenschaftler anzweifelt, dem Feindbild des Wehrkraftzersetzers gleichkommt. Der Zweifler negiert mein Bedürfnis nach Gewissheit und Halt, das aber so wichtig ist für den fragilen Zustand meiner Identität. Er gefährdet die Befriedigung meines Bedürfnisses nach Eindeutigkeit, nach klaren Verhältnissen.
Die Orientierung an Autoritäten ist das eine, was uns Gewissheit und Halt gibt, ein anderer Weg ist die Flucht. Es stellt sich ein Eskapismus in Ideologien, in Glaubenssysteme, in Gruppenzugehörigkeit, in eine Sekten-Identität ein, die diese Stützfunktion anbieten können. Die Hierarchien dieser Ideologien nehmen zwar Freiheit, doch sie offerieren Sicherheit und Zugehörigkeit.
Es ist ein Kult!
Nicht ohne Grund sage ich: „es ist ein Kult!“. Und dieser Kult gibt mir eine gewisse Haltung vor, weil ich mich selbst nicht mehr zu halten vermag. Diese Haltung, mit der ich meine eigene Ungewissheit „runterknüppeln“ möchte, mich aus der Ungewissheit rauskatapultieren will in die Sicherheit, manifestiert sich in neuartigem Benehmen.
Verhaltensweisen, die man noch vor ein paar Monaten als skurril und seltsam hätte ansehen müssen oder angesehen hat, als kurios, als sonderbar, kommen uns nun immer näher, werden immer selbstverständlicher und mehr und mehr Teil einer neuen Normalität. Das geht bis ins Kleinste, bis ins Detail, bis in die Kleidung, bis in die Accessoires, das was man vor Mund und Nase tragen muss. Als Bestätigung dieser Sekten-Identität, gibst du dich als Teilnehmer und als Mitglied des Kults zu erkennen. Gleichzeitig werden die eigene Identität und Individualität an der Pforte abgegeben. Denn die Kleiderordnung des Kults ist uniformartig und eintönig.
Der Schriftsteller und Kulturkritiker Henry L. Mencken würde uns bezeichnen als:
„endlose Herde fast ununterscheidbarer Menschen, geprägt von Jahren der Unterordnung, der 'Ordnung', von quälenden Ängsten, von eifriger und unverfrorener Konformität; und vor allem von den grotesken und irrigen – für das logische Denken tödlichen – Versuchen, diese Angst mit moralischen Namen auszutricksen, diese 'Ordnung' als freiwillig und sogar altruistisch erscheinen zu lassen, und dieser Unterordnung und Konformität eine falsche und betäubende Würde zu verleihen“.
Neben der Kleidung und äußerlich sichtbarer Zeichen manifestiert sich die neue Haltung auch in der Denkweise und findet Niederschlag in der Rhetorik, der Sprache, in der Wortwahl. Wir übernehmen die vorgekauten rhetorischen Versatzstücke des neuen Kults, und sagen “Stay Safe” oder „Bleiben Sie gesund“ und alles, was es da auf einmal an Floskeln gibt in dieser neuen Normalität.
Der potenzielle Kranke
Und ich sage es erneut: es ist die totale Umkehrung. Auf einmal ist jeder krank und gefährlich – vor allem die ohne Symptome. Schon gehört? Gewisse Impfzentren dürfen neuerdings nur noch Menschen ohne Krankheitssymptome betreten. Man stelle sich das einmal vor: dort werden per se nur Symptomlose empfangen, man darf nur dort hinein, wenn man nichts hat. Die, die etwas haben – etwa ein Kratzen im Hals oder Husten vielleicht – die werden gar nicht erst hineingelassen geschweige denn getestet!
Das ist die nun die neue Standardeinstellung: jeder ist erst einmal krank, so wie es Ivan Illich geschrieben hat. Die Ärzte sorgen dafür, dass jeder von Geburt an erst einmal ein Patient ist, ein potenziell Kranker, und das bis zum Beweis des Gegenteils: der letztendlich gültigen Gesundheit. Die tritt jedoch niemals ein, dieser Beweis kann nie erbracht werden. Schließlich sind wir nur deshalb gesund, weil wir noch nicht gründlich genug getestet wurden. Auf einmal ist auch der andere nicht mehr der Ursprung meines Wohlbefindens, meiner Freude, sondern der Verursacher von Leid, Gefahr und Risiko – ein Virenträger.
Harald Welzer: Konformismus
Durch die Orientierung an den überall sichtbaren Autoritäten und Führerfiguren, die eben nicht hinterfragt werden dürfen, entsteht ein Konformismus, der harmlos erscheint, wenn man ihn mit dem physischen oder psychischen Zwang von Diktaturen vergleicht. Doch das ist es ja gerade. Wie der Sozialpsychologe Harald Welzer in seinem Buch Autonomie schreibt,
„[greift] der Konformismus viel tiefer als physischer Zwang in unser Denken, ja in unsere Persönlichkeit ein. Konformismus verändert unsere eigenen Wünsche und Überzeugungen, und zwar oftmals ohne, dass uns das selbst überhaupt bewusst wird. Physischer Zwang mag im Stande sein, uns von Protesten abzuhalten, der Konformismus dagegen, kann dafür sorgen, dass wir zu Unterstützern der Diktatur werden, ja es kann sogar passieren, dass wir uns als Mitglieder einer Gruppe zu Handlungen hinreißen lassen, die unseren tiefsten Überzeugungen widersprechen“.
Konformismus erzeugt den Hang der Menschen, sich nun zu Handlungen anstiften zu lassen, die vor ein paar Monaten noch vollkommen kurios und hanebüchen gewesen wären oder geradezu gemeingefährlich. Es entsteht ein Zustand, in dem nicht einmal mehr der Bedarf zu bestehen scheint, gegen ein übermächtiges Regierungshandeln zu protestieren.
Das Finden von einfachen Antworten auf schwierige Fragen ist natürlich nur scheinbar, weil es gleichzeitig in eine neue Abhängigkeit und Fremdbestimmung mündet – es ist die Illusion von Sicherheit. Das was jedoch abgegeben wird, das ist die eigene Selbstwirksamkeit. Der Konformismus als die Suche nach Halt führt in eine immer größere Abhängigkeit von Autoritäten und gleichzeitig zur Akzeptanz dieser neuen Normalität. Zur Akzeptanz einer, zum globalen Kult gewordenen, neuen Ideologie, die die Menschen immer weiter auseinander treibt, die sie isoliert. Je mehr ich diesem Konformismus anhänge, je weniger merke ich, dass ich Dinge einfach so abnicke, die ich vor einem Jahr noch nicht abgenickt hätte, desto stärker wird meine Akzeptanz der neuen Normalität, die die Menschen isoliert und sie damit in die Einsamkeit und Entfremdung treibt.
Hannah Arendt: Verlassenheit
Wie Hannah Arendt in Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft schreibt, ist Verlassenheit die elementare Grunderfahrung menschlichen Zusammenseins, die in totalitäre Ideologien den größten Nährboden findet und deshalb bevorzugt genutzt wird:
„Verlassenheit entsteht, wenn […] aus gleich welchen geschichtlich-politischen Gründen diese gemeinsam bewohnte Welt auseinander bricht und die miteinander verbundenen Menschen plötzlich auf sich selbst zurückwirft. In der Verlassenheit sind Menschen wirklich allein, nämlich verlassen nicht nur von anderen Menschen und der Welt, sondern auch von dem Selbst, das zugleich jedermann in der Einsamkeit sein kann. […] In dieser Verlassenheit gehen Selbst und Welt, und das heißt echte Denkfähigkeit und echte Erfahrungsfähigkeit, zugleich zugrunde.“
Es ist jedoch nicht erst die totalitäre Politik an der Macht, die als Folge Verlassenheit produziert. Verlassenheit entsteht durch bestimmte gesellschaftlichen Umstände, woraufhin Menschen nach Ideologien suchen, die Halt geben. Ein leichtes Spiel für Totalitarismen aller Couleur. Entfremdung, das „fremd in der Welt sein“, der Weltschmerz, das Gefühl, nirgendwo hinein zu passen, das sind nun einmal Grunderfahrungen des menschlichen Lebens – der condition humaine.
Dieser menschlichen Urerfahrung der Verlassenheit jedoch etwas Positives entgegenzusetzen, das muss unsere Fähigkeit, unsere Superkraft werden. Um mit Heideggers Worten zu sprechen: wir alle sind in diese Welt geworfen worden, und wir haben – werden wir uns dessen bewusst – eine Urerfahrung der Verlassenheit, der Einsamkeit. Der müssen wir, als erwachsene Menschen, irgendwann etwas Positives entgegenstellen können, um uns nicht ständig in neue Abhängigkeiten treiben zu lassen.
Gemeinschaft, Geselligkeit, Lebendigkeit
Um der Verlassenheit etwas Positives entgegenzusetzen, müsste man in der Lage sein, ein lebensfreundliches Verständnis von einem förderlichen Miteinander zu haben, ein Bild davon. Ein Bild von echter Lebendigkeit, von dem was es heißt, lebendig zu sein – nicht nur am Leben zu sein oder zu überleben. Die Möglichkeit, Gemeinschaft, Geselligkeit, Nähe und Berührung regelmäßig auszuüben, zuzulassen, dazu zu stehen, sich nicht dafür zu schämen und dem Anderen in diesem Menschenbild zu begegnen. Der Andere ist nicht mein Feind, er ist keine Gefahr, sondern die Quelle meiner Freude und meines Lebenssinns.
Aber tun wir das? Dieses Miteinander feiern in Lebendigkeit und Geselligkeit und Gemeinschaft? Nein. Wir begegnen unseren Mitmenschen (und uns selbst) als wären sie Objekte, wir entwürdigen sie, wir betrachten sie als Quelle der Gefahr, als Träger von Krankheitserregern. Wir sprechen ihnen die Berechtigung ihrer Ängste ab. Wir sehen sie (und uns) reduziert und objektiviert. Dieses Menschenbild macht es uns unmöglich, eigenmächtig zu werden, Selbstwirksamkeit zu verspüren und dieser gesellschaftlichen Orientierungslosigkeit in Zeiten des Umbruchs, der Entfremdung, etwas entgegenzusetzen.
Frohe Botschaft
Jene Erfahrungen der Orientierungslosigkeit – alle Erfahrungen im Übrigen – bilden ein Integral, sie verdichten sich zu allen bisher gemachten, ähnlichen Erfahrungen. Dieses Erfahrungsintegral bestimmt den Rahmen dessen, was unser Denken und Fühlen, unser Weltbild ausmacht. Das, was wir erlebt haben, was wir erfahren haben, bildet den Rahmen, in dem wir die Welt wahrnehmen.
Wenn wir aber nur noch Entfremdung, Isolation und Objektivierung erfahren, dann werden wir zu entfremdeten, ohnmächtigen und einsamen Menschen. „Wie kommen wir da wieder raus?“ und „wie werden wir gesund?“ sind letztendlich ein und dieselbe Frage. Denn das ist die Frage nach der Möglichkeit, der Entfremdung etwas entgegenzusetzen, selbstwirksam zu werden und die Kohärenz, die wir brauchen, wieder herstellen zu können.
Und das, glaube ich, können wir. Das ist meine frohe Botschaft. Ich glaube, das können wir immer noch. Wir können diese Dinge tun, wir können uns mit Menschen treffen und wir können neue Netzwerke bilden, neue Freundschaften schließen, neue Gemeinschaften finden und wir können ein neues Leben, eine neue, verbesserte Lebensweise – ein gelingendes Leben – entwerfen.
Zur Selbstwirksamkeit, die uns gesund macht, können wir jederzeit zurück finden, indem wir die Räume schaffen, in denen sie möglich ist. Wir müssen diese Räume suchen – sie sind da – oder schaffen, wo sie noch nicht sind. Das sind Räume, in denen wir auf einmal frei entscheiden können. Dort sind wir nicht mehr objektiviert, nicht mehr ohnmächtig, nicht mehr bloß passiver Spielball von Verordnungen und Maßnahmen. Unsere Freiheit und Selbstwirksamkeit an diesem Ort prägen dann neue Erfahrungen, die wiederum unser Erfahrungsintegral verändern und damit den Rahmen, in dem wir auf uns, unsere Mitmenschen und die Welt blicken.
Nur wenn wir diese Freiheit erfahren, können wir zu Sinnhaftigkeit, Handhabbarkeit und Verstehbarkeit gelangen. Diese drei Säulen erzeugen Kohärenz: die salutogenetische Vollkommenheit. Letztendlich müssen wir, wenn wir wahrlich gesund werden wollen, Handlungen tätigen, die uns einander näher bringen.
Eindrucksvoll und Mut machend! Danke! Lasst uns die Ereignisse so werten, dass wir NIEMALS unsere Lebendigkeit einbüßen.
14:00 In einer Gruppe jeweils Anfangs darauf hinzuweisen, dass Entscheidungen in Gruppen riskanter getroffen werden [1] hilft ein wenig dem Entgegen zu wirken. Wenn man wie Texas die Jury zu einer Fehlentscheidung treiben will um danach die Gruppe damit zu black-mailen sagt man das natürlich zuvor nicht im "Secret Curt"
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Risk-shift