Die Lust am Tabubruch - Edgar Hilsenrath
Seine Bücher haben ein ähnlich abenteuerliches Schicksal wie Edgar Hilsenrath selbst. Als beispielsweise der Roman „Nacht“ erschien, wurde der Vertrieb binnen kurzem eingestellt, sodass der Autor seine eigenen Bücher aufkaufen musste. „So kann man Juden nicht darstellen“, lautete damals, 1978, der sich philosemitisch gebende Tenor – zu triebbesessen, zu abstoßend erschienen dort die, die doch eigentlich die edlen Opfer sein sollten. Hilsenrath wurde zur persona non grata im Literaturbetrieb, seine Manuskripte von 60 Verlagen abgelehnt. Dabei hatte er nur beschrieben, oft satirisch überzogen freilich wie in seinem zweiten Roman „Der Nazi & der Friseur“, was die Nazis letztlich geschaffen hatten: Juden, die auf reine Animalität reduziert wurden.
Im Ausland hingegen, vor allem in den USA, wo Hilsenrath nach seiner Emigration aus Palästina lange Zeit lebte, gilt er als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Holocaust-Schriftsteller. Seine Werke erreichten Auflagen in Millionenhöhe, sie wurden in 18 Sprachen übersetzt und erschienen in 22 Ländern. Im Zuge dieses Erfolgs wurde Hilsenrath dann auch hier wieder gelesen, er erhielt den Alfred-Döblin-Preis, „Der Nazi & der Friseur“ wurde zur Schullektüre. Namhafte Kollegen wie Heinrich Böll widmeten seinen Büchern – wenn auch skeptisch – lobende Besprechungen.
Dann jedoch war es still geworden um Edgar Hilsenrath. „Ihre Bücher verkaufen sich nicht mehr“, sagte man ihm beim Piper Verlag, wo er über lange Jahre hinweg veröffentlicht wurde, und gab ihm die Rechte an seinen Werken zurück. Mit diesen Rechten trat er an den Kölner Dittrich-Verlag heran, wo nun eine Werkausgabe aller seiner Bücher erscheint. Angefangen mit „Bronskys Geständnis“, einer autobiographisch geprägten Satire über den Emigranten Jakob Bronsky, der sich als Penner im New York der 50er Jahre durchschlägt, um seinen Roman zu schreiben und damit von seinen Erinnerungen loszukommen. Der Roman erschien 2003 im Dittrich-Verlag unter dem zusätzlichen Titel „Fuck America“ – ohne im eigentlichen Sinne antiamerikanisch zu sein. Es handelt sich vielmehr um ein bizarres und bewegendes Zeugnis einer Welt, in der die Überlebenden des Holocaust „den anderen Tod“ sterben müssen, weil man von ihrer Geschichte nichts wissen will und sie schließlich von der Erinnerung eingeholt werden.
Im Frühjahr 2004 erschien der Schtetl-Roman „Jossel Wassermanns Heimkehr“ und im Herbst dann „Der Nazi & der Friseur“. „Ein gewagtes Unternehmen“, sagte mir damals Verlagsgründer Volker Dittrich. Einen Außenseiter wie Hilsenrath durch eine Neuedition und ein paar Lesungen wieder einem größeren Publikum bekannt machen zu wollen, sei nicht allein finanziell ein großes Risiko. Doch geben die Reaktionen auf die ersten Veranstaltungen (darunter eine in der Berliner Akademie der Künste) Anlass zur Zuversicht. „Alle Häuser waren sehr gut besucht“, so Dittrich, „und im nächsten Jahr kommen noch Lesungen mit Hilsenrath in anderen Teilen Deutschlands hinzu.“
Diese Situation hat sich seit vier Jahren allerdings verändert. Dittrich schreibt heute:
2012 forderte der Autor, und sein im Artikel der RNZ erwähnte Generalbevollmächtigte, die Rechte vom Dittrich Verlag zurück. Darüber hat der SPIEGEL ausführlich berichtet (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-87482743.html) Auch die Rechte für die Taschenbuchausgaben bei dtv wurden 2013 vom Generalbevollmächtigten nicht verlängert, so dass das Werk von Edgar Hilsenrath in keinem renommierten deutschen Verlag mehr zu beziehen ist.
Nun hat der mittlerweile 90jährige Hilsenrath den Hilde-Domin-Preis für Literatur im Exil 2016 erhalten. Die Zeit schien damals, vor zehn Jahren, reif zu sein für eine Hilsenrath-Renaissance - und das ist sie vielleicht auch jetzt noch. Das „Schreiben über Auschwitz“ kommt heute weniger genormt daher als noch vor einem Vierteljahrhundert. Auch bestehen die Tabuschwellen bei der Darstellung des Holocaust nicht mehr, die Hilsenrath seinerzeit noch regelmäßig und lustvoll überschritt. Durch die gewissenhaft und ansehnlich erstellte Edition seiner Werke im Dittrich Verlag hätte Hilsenrath nach und nach in eine Reihe mit Autoren wie Jean Améry, Jurek Becker oder Ruth Klüger rücken können. Das Zeug dazu haben seine Romane in ihrer oft respektlosen und provozierenden, aber immer aufrichtigen Haltung allemal. Ihr abenteuerliche Schicksal geht allerdings weiter.
Edgar Hilsenrath. Fuck America – Bronskys Geständnis. Gesammelte Werke Band 4.
Dittrich-Verlag, Köln 2003, 287 Seiten, 19,80 €.